Es wäre eine beispiellose Regelung: eine optisch unauffällige Kleinwindanlage soll nach einem neuen Entwurf des NRW-Landesgesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuchs einen Abstand von 1.000 m zu Wohngebäuden einhalten. Für eine 30 m hohe Kleinwindanlage und eine 230 m Megawatt-Windkraftanlage sollen gleiche Abstandsregeln gelten. Was wie ein Missverständnis klingt, scheint für die schwarz-gelbe Landesregierung bitterer ernst. Lokaler Klimaschutz durch Windenergie würde mit den beliebten Kleinanlagen in NRW kaum noch möglich sein.
Aktueller Hinweis vom Juli 2021:
Gesetz wurde beschlossen
Die Änderungen des NRW-Baugesetzes wurden am 01.07. im Plenum des NRW-Landtags beschlossen. Die dezidierte Nennung von "Kleinwindenergieanlagen" in der Begründung zum Gesetz wurde nicht gestrichen.
Die Landesregierung unter Armin Laschet beschließt damit eine beispiellose Regelung gegen optisch unauffällige Kleinwindanlagen. In einem Gesetz, das die Abstände von optisch auffälligen Großanlagen regeln soll.
Die schwarz-gelbe Landesregierung offenbart eine kategorische Ablehnung von Windenergie-Technik, wenn jetzt auch Mini-Windkraft stark behindert werden soll.
Mehr dazu in diesem Fachartikel.
Abstandsregeln für Großwindkraftanlagen
Nach der sogenannten Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch des Bundes (BauGB) können Bundesländer in den Landesgesetzen eigene Mindestabstände von Windenergieanlagen zur Wohnbebauung festlegen. Der Mindestabstand darf maximal 1.000 m betragen.
Damit soll eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung für die Nutzung der Windenergie erreicht werden. Offensichtlich geht es hier nur um „raumbedeutsame“ Windanlagen, d.h. Megawattanlagen, die mittlerweile eine Gesamthöhe über 200 m erreichen. Entsprechend waren Kleinwindkraftanlagen nie Inhalt entsprechender Gesetzesanpassungen, weil sie maximal 50 m hoch sein dürfen.
Anti-Kleinwind-Regelung taucht im April 2021 auf
Am 23.12.2020 wurde durch das NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung der Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Von Kleinwindanlagen in diesem Entwurf noch kein Wort.
Im Rahmen des Gesetzentwurfs vom 21.04.2021 werden in der Begründung dezidiert „Kleinwindenergieanlagen“ erwähnt. Die konkrete Passage:
Die 1 000 Meter-Regelung gilt grundsätzlich für alle Windenergieanlagen nach § 35 Absatz 1 Nummer 5 BauGB, unabhängig davon, ob sie mit einer Höhe von mehr als 50 Metern immissionsschutzrechtlich (Ziffer 1.6 Anhang 1 zur 4. Bundesimmissionsschutzverordnung -BImSchV) oder ob sie baurechtlich genehmigt werden oder als Kleinwindenergieanlagen nach der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen genehmigungs-frei bzw. verfahrensfrei sind.
Im darauf folgenden Absatz wird zwar erwähnt, dass die Regelung nicht gilt für Betriebe der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Gartenbau (Privilegierung nach § 35 Absatz 1 und Absatz 2 BauGB).
Aber alle anderen Betreiber im Außenbereich müssten mit einer Kleinwindanlage den 1.000 m Abstand einhalten. Das betrifft beispielsweise alle kommunalen Betriebe wie Wasserwerke und Klärwerke, die meistens im Außenbereich angesiedelt sind.
Diese Anti-Kleinwind-Regelung wirkt wie ein Missverständnis. Denn am Anfang des Dokuments wird das Problem beschrieben, welches mit der Gesetzesänderung angegangen werden soll: die im Laufe der Jahrzehnte wachsende Gesamthöhe und Rotorgröße von Megawattanlagen.
Deshalb hier der klare Hinweis:
Kleinwindkraftanlagen sind nicht Bestandteil des Problems, welches durch die Gesetzesänderung angegangen werden soll. Kleinwindanlagen sind seit jeher auf eine Gesamthöhe von 50 m begrenzt. In der Praxis liegt die Gesamthöhe der meisten Kleinwindanlagen unter 30 m. Es sind optisch unauffällige Anlagen ohne Einfluss aufs Landschaftsbild mit sehr hoher Akzeptanz in der Bevölkerung.
Auswirkung für Kleinwindkraft in der Praxis
Diese beispiellos restriktive Regelung gegen Kleinwindkraftanlagen würde zu einer absurden Situation führen. Ein Beispiel:
Ein kommunaler Betrieb wie z.B. ein Klärwerk will auf seinem Betriebsgelände eine Kleinwindanlage zur Eigenversorgung aufbauen. Die Gesamthöhe (höchste Flügelspitze) beträgt 30 m, der Mast ist rund 25 m hoch. Aufgrund der 1.000-Meter-Abstandregel müsste die 30 m hohe Anlage einen Abstand einhalten, der das 33-fache der Anlagenhöhe entspricht (33H). Doch das nächste Wohngebiet ist 400 m entfernt. Obwohl niemand die Kleinwindanlage sehen oder hören würde, dürfte die Anlage nicht gebaut werden. Für viele kommunale Betriebe wären solche Projekte des lokalen Klimaschutz nicht mehr möglich.
Die Anti-Kleinwind-Regelung würde dazu führen, dass die Auflagen für Kleinanlagen im Verhältnis zu Großanlagen deutlich höher wären. In Bayern gilt beispielsweise für große Multimegawatt-Windanlagen mit einer Gesamthöhe über 200 m ein Mindestabstand von 10H (Abstand = 10 x Anlagenhöhe). Eine 30 m hohe, optisch unauffällige Kleinanlage müsste in NRW einen Abstand von 33H einhalten!
Die Konsequenzen der NRW-Regelung auf einen Blick:
Bayern: 230 m hohe Megawatt-Windanlage muss Mindestabstand von 10H einhalten.
NRW: 30 m hohe Kleinwindanlage müsste Mindestabstand von 33H haben.
Kleinwindanlagen sind in der Bevölkerung beliebt
Die Gesetzgeber in NRW begehen einen Fehler, wenn sie große Megawatt-Windanlagen und Kleinwindkraftanlagen in einen Topf schmeißen.
Die im Vergleich zu Großwindkraftanlagen limitierte Anlagenhöhe als auch die geringen Maße der Rotorblätter führen dazu, dass Kleinwindanlage in der Bevölkerung nicht nur eine hohe Akzeptanz erfahren, sondern beliebt sind.
Das Interesse an Kleinwindkraftanlagen in der Bevölkerung ist groß und wachsend. Das gilt auch für Gewerbebetriebe und kommunale Betriebe, die als Ergänzung zur Photovoltaik für den sonnenschwachen Herbst und Winter eine umweltfreundliche Option der Stromerzeugung benötigen. Kleinwindanlage sind prädestiniert für lokalen Klimaschutz.
Reaktionen von Verbänden und Experten
Verschiedene Verbände haben eine Stellungnahme zur geplanten Gesetzesänderung abgegeben. Darunter der Bundesverband Kleinwindanlagen (BVKW). Neben dem BVKW haben unter anderem der VKU und der bdew die Ausweitung der Abstandsregelung auf Kleinwindkraftanlagen scharf kritisiert.
Stellungnahmen von Verbänden:
>> Bundesverband Kleinwindanlagen kann man hier runterladen
>> Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) hier runterladen
>> bdew Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. hier runterladen
Es folgen Expertenzitate zur geplanten Änderung des NRW-Baugesetztes…
Juristischer Beirat des Bundesverband Kleinwindanlagen
„Ein pauschaler 1.000 m Abstand für max. 50 m hohe Kleinwindanlagen wäre eine
100 % Abkehr der Gerichtspraxis in NRW. Das würde der ständigen Rechtsprechung des OVG Münster fundamental widersprechen. Danach führt nämlich erst ein Abstand der zweifachen, maximal der dreifachen Höhe „überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung“ der Windenergieanlage. Am Maßstab dieser Rechtsprechung lässt sich also allenfalls ein pauschaler Abstand von max. 150 m rechtfertigen, nicht aber von 1.000 m. Eine solche Erweiterung um mehr als 550 % ist vollkommen unverhältnismäßig und außerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.
Das Bundesklimaschutzgesetz verlangt gewaltige Anstrengungen vom Energiesektor und auch von den Sektoren der maßgeblichen Kundengruppen von Kleinwindanlagen (das sind: Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft). Wenn die meisten der Unternehmen aus diesen Sektoren nun keine kleinen Windanlagen als Nebenanlagen in der Nähe Ihrer Betriebe mehr errichten dürfen und damit also auch keine grünen Stromversorgungslösungen für ihren Stromeigenbedarf mehr bauen dürfen, wird in diesen Sektoren die Erreichung der Klimaziele rechtswidrig abgeschnitten.“
Dr. Dirk Legler, Rechtsanwalt, Experte für Energierecht
>> Rechtsanwälte Günther
Kleinwindanlagen-Hersteller Solutions 4 Energy
„Kleinwindenergieanlagen sind bereits nach wenigen 100 Metern optisch und auch hinsichtlich Ihrer Schallimmissionen nicht mehr wahrnehmbar (siehe PDF unten). Eine 1.000 Meter Abstandsregelung für derartige Anlagen ist völlig unverständlich und verhindert Kleinwindenergieanlagen in NRW nahezu vollständig. Durch diese Regelung werden am Ende sinnvolle Projekte zur dezentralen Energieversorgung zunichtegemacht und ein wichtiger Baustein hin zu einer vollständigen regenerativen Energieversorgung bleibt ungenutzt. Diese in jeder Hinsicht unverständliche Regelung gerade in einem Bundesland mit gutem Potential für die Windenergienutzung mit kleinen Windenergieanlagen ist ein Schlag ins Gesicht der Energiewende.“
Jens Kirchner, Geschäftsführer, Solutions 4 Energy GmbH
>> Solutions 4 Energy
>> Geringer Schall und Sichtbarkeit von Kleinwindanlagen (PDF mit 670 kB)
Informationen auf der Seite des Landtags NRW
>> Gesetzentwurf Drucksache 17/13426 vom 21.04.2021 (PDF-Datei)
>> Beschlossenes Gesetz vom 14.07.2021 (PDF-Datei)
Autor: Patrick Jüttemann