Vertikale Windkraftanlagen im Vergleich mit horizontalen Anlagen

14/08/2022
Vertikale Windkraftanlage

Kleinwindanlagen mit vertikaler Achse wirken aufgrund ihres Designs futuristisch und erregen oft die Aufmerksamkeit des Betrachters. Doch wie sieht es mit den Fakten aus, welche technischen Unterschiede bestehen zu den gängigen Windkraftanlagen mit horizontaler Achse?

Bei großen Windkraftanlagen der Megawattklasse hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein Konstruktionstyp durchgesetzt, der das Erscheinungsbild einer „normalen“ Windkraftanlage prägt: Anlagen mit horizontaler Achse und drei Rotorblättern, die durch eine Windnachführung gegen den Wind zeigen.

Bei Kleinwindkraftanlagen herrscht ein viel breiteres Spektrum an Bauformen. Ein komplett anderer Konstruktionstyp wird durch die sogenannten vertikalen Windkraftanlagen vertreten, deren Rotorachse vertikal zum Boden aufgestellt ist. Doch wo liegen die technischen Unterschiede zu horizontalen Windkraftanlagen, welche Vorteile und Nachteile bestehen?

Der entscheidende Nachteil vertikaler Windräder der  geringere Wirkungsgrad und damit verbundenen Wirtschaftlichkeit.

Nachteile vertikaler Kleinwindanlagen

Geringerer Wirkungsgrad
Ein entscheidender Nachteil vertikaler Kleinwindanlagen liegt im geringeren Wirkungsgrad begründet. Während horizontale Anlagen eine sogenannte spezifische Leistungsausbeute von bis zu 50 % erreicht haben, liegt der Wert bei Vertikal-Läufern bei maximal 40 %. Horizontale Anlagen produzieren oft bedeutend mehr Strom als vertikale Anlagen. Vor allem Savonius-Rotoren sind durch eine geringe Effizienz gekennzeichnet. Im Vergleich dazu haben vertikale Darrieus-Rotoren eine höhere Stromausbeute, da diese zusätzlich durch einen Auftriebseffekt angetrieben werden. Der Rotor dreht sich dadurch schneller.

Geringere Wirtschaftlichkeit
Aus dem geringeren Wirkungsgrad und den geringen Stromerträgen lässt sich der schwerwiegendste Nachteil ableiten: Die Kosten der durch Windenergie produzierten Kilowattstunde Strom sind bei vertikalen Windturbinen in der Regel erheblich höher, als bei horizontalen Windturbinen.

Hohe Schwingungen und Belastungen
Vertikale Anlagen können starke Resonanzen hervorrufen.

Geringe Bauhöhe
Die Rotoren befinden sich aufgrund nachteiliger Schwingungen in Bodennähe. Horizontale Windkraftanlagen können durch einen Mast oder Turm in höhere Luftschichten gelangen.

Vorteile vertikaler Windräder

Keine Windnachführung notwendig
Vertikale Kleinwindanlagen müssen nicht mit einer Regelung versehen werden, der den Rotor in den Wind dreht. Horizontale Anlagen verfügen in der Regel über eine Windfahne und ein Nachführungssystem.

Eher geeignet für turbulente Windverhältnisse
An Standorten mit starken Luft-Verwirbelungen funktionieren Anlagen mit vertikaler Achse oft zuverlässiger als Horizontal-Läufer. Bei dauerhaft turbulenten Windverhältnissen muss man allerdings die Eignung des Standorts in Frage stellen.

Einfache Wartung
Die wartungsintensiven Komponenten wie der Generator befinden sich in Bodennähe. Bei horizontalen Anlagen befinden sich die Maschinenteile in der Gondel. Wenn der Mast nicht gekippt werden kann, benötigt man eine Hebevorrichtung oder einen Kran.

Niedrige Blattgeschwindigkeiten und geringere Geräuschbelastung
Vertikale Windkraftanlagen können je nach Bauform leiser sein als horizontale Windanlagen und sich deshalb für Wohngebiete und Städte besser eignen. Es gibt allerdings auch Vergleiche zwischen verschiedenen Windradtypen mit dem Ergebnis einer geringeren Schallausbreitung der Horizontalläufer.

Kein Schattenschlag
Anlagen mit horizontaler Rotorachse können bei niedrigem Sonnenstand unangenehmen Schattenwurf verursachen, bei vertikalen Anlagen kann das nahezu ausgeschlossen werden.

Höhere Akzeptanz bei manchen Genehmigungsbehörde
Manche Bauämter zeigen gegenüber vertikalen Windanlagen eine höhere Akzeptanz, verbunden mit einer höheren Bereitschaft für die Vergabe einer Baugenehmigung.

Verbreitungsgrad der Konstruktionstypen

Nach einer Studie der Universität Kassel und des Fraunhofer-Instituts  für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES sind auch bei den Kleinwindanlagen Horizontal-Läufer mit drei Rotorblättern zurzeit am weitesten verbreitet. Von insgesamt 118 untersuchten Anlagentypen hatten 88 % eine horizontale Achse und 12 % eine vertikale Achse. Bei den Horizontal-Läufern waren solche mit drei Rotorblättern am weitesten verbreitet.

Der regelmäßig aktualisierte Kleinwind-Marktreport führt auf Basis von Marktanalysen nur qualitativ hochwertige Kleinwindkraftanlagen auf. In der im März 2016 veröffentlichten Marktanalyse wurden erstmals vertikale Kleinwindturbinen aufgenommen. Ein Windradmodell hat sogar eine offizielle Zertifizierung nach dem japanischen Kleinwind-Standard.

Ausblick

Die Kleinwind-Branche steht noch ziemlich am Anfang, wenn man Vergleiche mit der Photovoltaik-Branche anstellt, die schon vor Jahren in die Massenproduktion gegangen ist. Der niedrigere Wirkungsgrad vertikaler Anlagen bedeutet nicht, dass sich das Konzept langfristig nicht behaupten kann. In der Photovoltaik-Branche hat sich eine Technologie mit relativ niedrigen Wirkungsgraden lange Zeit durchsetzen können. Der Hersteller von Solarstrommodulen First Solar hat eine führende Marktstellung behaupten können, obwohl der Wirkungsgrad seiner Dünnschichtmodule erheblich niedriger war, als bei herkömmlichen Modulen mit Siliziumsolarzellen. Der Grund für die starke Marktposition waren erhebliche Produktionskostenvorteile, so dass die spezifischen Investitionskosten und resultierende Stromgestehungskosten entsprechend niedrig waren.

Aktuell werden die meisten Kleinwind-Projekte mit horizontalen Anlagen umgesetzt, da sich die höheren Wirkungsgrade positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirken. Moderne Horizontalläufer sind Stand der Technik. Aber die Dynamik im Segment der Vertikal-Windräder ist groß, es spricht einiges dafür, dass sich diese Bauform zunehmend im Markt durchsetzen wird.

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Über den Autor

Patrick Jüttemann

Patrick Jüttemann ist neutraler Experte für Kleinwindkraftanlagen und Autor diverser Fachpublikationen. Er ist Gründer und Inhaber des 2011 gestarteten Kleinwindkraft-Portals und des dazugehörigen YouTube-Kanals "Kleinwindkraft".
Er ist international anerkannter Experte zu gewerblichen und privaten Kleinwindanlagen für die lokale Energieversorgung. Dazu gehört die Integration von Photovoltaik und Stromspeichern.
Seine Arbeit als Autor ist durch aktuelle Marktanalysen, wissenschaftlich fundierte Berichte und Verbraucherschutz gekennzeichnet. Als Experte wird er in diversen renommierten Zeitschriften wie beispielsweise der ZEIT, F.A.Z. und c’t (Heise Gruppe) zitiert.