Sind Stecker-Windkraftanlagen für den Balkon empfehlenswert?

09/01/2024
Windkraftanlage für die Steckdose

Eine Mini-Windkraftanlage für die Steckdose, es wird oft danach gefragt. Kein Wunder, denn Stecker-Solaranlagen boomen. Eine Mini-Windanlage auf dem Balkon oder direkt am Haus wäre eine perfekte Ergänzung. Doch wie sieht es aus mit Technik, Bürokratie und Markt von Stecker-Windrädern?

Im folgenden Video wird das Wichtigste zu Mini-Windanlagen mit Einspeisung über die Steckdose erläutert. Windkraftanlagen sind erheblich anspruchsvoller als Solaranlagen, aufgrund der hohen Leistungsabgabe bei Starkwind. Deshalb sind unbedingt Sicherheitsaspekte zu beachten.

Autor: Patrick Jüttemann

Jetzt Video anschauen (10:21 min):

Stecker-Solaranlagen: alles schön einfach!

Der Boom der Solar-Balkonkraftwerke in Deutschland hat seine guten Gründe. Die Rahmenbedingungen für Installation und Betrieb der Photovoltaikmodule für die Einspeisung in die Steckdose sind nutzerfreundlich.

Einfach Installation
Der Reiz liegt in der unkomplizierten Anwendung, es ist eine einfache Möglichkeit der Selbstversorgung.

Solarmodule mit der mitgelieferten Halterung am Balkon befestigen und das Anschlusskabel in eine Steckdose stöpseln.

Vereinfachte Anmeldung
Anwenderfreundlich ist auch die vereinfachte Anmeldung, sofern die Leistung der Solarmodule 600 Watt nicht überschreitet. Die Anmeldung beim Netzbetreiber und der Bundesnetzagentur kann selbst durchgeführt werden.

Sicherheitstechnik: Selbstwirkende Freischaltstelle
Balkonmodulen müssen technische Anforderungen erfüllen, damit sie sicher sind. Es muss eine selbstwirkende Freischaltstelle implementiert sein: wird der Stecker gezogen oder fällt das Hausnetz aus, muss der Wechselrichter das Solarmodul innerhalb von 0,2 Sekunden vom Netz trennen.

Stecker-Windanlagen: alles nicht so einfach

Aber was ist mit Stecker-Windanlagen? Warum haben die sich bislang nicht durchgesetzt wie Stecker-Solaranlagen?

Wichtiger Unterschied zwischen Solarenergie und Windenergie: Stecker-Windanlagen unterliegen viel größeren Herausforderungen als Stecker-Solaranlagen. Das liegt in der Natur der Windenergie begründet.

Solarenergie hat ein begrenztes Leistungsangebot, die sogenannte Solarkonstante: pro Fläche kann die Sonne in DE bei klarem Wetter bis maximal 1000 Watt Leistung pro Quadratmeter bereitstellen.

Windenergie ist dagegen durch extremes Leistungsangebot gekennzeichnet. Aufgrund diesem Naturgesetz: verdoppelt sich die Windgeschwindigkeit, verachtfacht sich die im Wind enthaltene Leistung. Bei einem Sturm wirken gewaltige Kräfte. bei einem Sturm kann die Leistung pro Quadratmeter mehr als 10-mal höher sein, als im Vergleich zur Solarenergie.

Fazit:  man muss eine Windanlagen vor zu viel Wind schützen, eine Sturmsicherung haben. Man muss eine Solaranlage aber nicht vor zu viel Sonne schützen

Vorsicht: bei Mini-Windkraftanlage den Stecker ziehen

Aufgrund des extremen Leistungsangebot durch Windkraft  muss man aus Gründen der Sicherheit die Frage stellen: Was passiert, wenn bei Starkwind der Stecker gezogen wird?

Die Windanlage hat dann keinen Gegenmoment zum drehenden Rotor. Der Rotor beschleunigt sehr stark mit Überdrehzahl, so dass der Rotor zerstört werden kann.

Für eine Windanlage benötigt man zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, wie einen Überdrehzahlschutz. Dadurch sind mehr Komponenten als bei Photovoltaik notwendig (z.B. Lastwiderstand, Not-Aus-Schalter). Das macht das System teurer und nicht so kompakt wie bei Solar-Balkonkraftwerken.

Bürokratie: keine vereinfachte Anmeldung für Stecker-Windräder

Das vereinfachte Anmeldeverfahren für Stecker-Solaranlagen gilt nicht für Stecker-Windanlagen. Es gelten die normalen Netzanschlussbedingungen gelten. Das bedeutet: normale Anmeldung inkl. präventiver Prüfung durch den Netzbetreiber.

Windpotenzial am Balkon ausreichend?

Die Regel #1 bei einer Kleinwindanlage: Installation an einer windstarken Stelle!

Die Windbedingungen direkt am Haus (Balkon, Fassade, Dach) sind oft schlecht. Generell ist das Windpotenzial in bebauten Gebieten oft schlecht. Zusätzlich gibt es Verwirbelungen. Auch mit der besten Kleinwindkraftanlage der Welt wirst du bei zu schwachem Wind kaum Strom produzieren

Auch bei Windkraftanlagen fürs Zuhause ist bei der Installation ein freistehender Mast der Standard. 

Markt für Mikrowindanlagen

Im Internet wird viel angeboten. Die Frage ist, ob es empfehlenswerte Angebote sind. Wir konnten keine normgerechten Stecker-Windkraft-Systeme ermitteln.

Man sollte also einen Wechselrichter mit Festanschluss wählen. Ein zugelassener Netzwechselrichter mit automatischer Netzabschaltung. Der Anschluss erfolgt durch einen Elektriker. Stromanschluss im Haus an einem abgesicherten Unterverteiler.

Bei Mikrowindanlagen bis 1,5 kW Nennleistung ist die Batterieladung der Standard. Solche kleinen Windanlagen werden in der Regel mit Laderegler angeboten, nicht mit Wechselrichter.

Wie man bei Kauf und Auswahl einer Kleinwindkraftanlage vorgehen sollte, erfährt man hier.

Fazit: sind Stecker-Windkraftanlagen sinnvoll?

Rein technisch betrachtet sind Stecker-Windturbinen durchaus realisierbar. Mit entsprechendem Aufwand: jede Kleinwindanlage muss eine reibungslose Sturmsicherung haben, egal wie und wo sie angeschlossen ist. Die Möglichkeit, bei einer bei Starkwind laufenden Windanlage den Stecker ziehen zu können, muss auf einer fehlerfreien Sicherheitstechnik fußen. Sofortige Trennung vom Netz, Überdrehzahlschutz der Windanlage, Notstopp-Schalter etc.

Ein großes Problem, das nichts mit der Technik zu tun hat: direkt auf dem Balkon oder mit kurzem Mast am Haus unterliegt man meistens schlechten Windbedingungen. Eine Mini-Windkraftanlage würde sehr viel weniger Strom erzeugen als eine Stecker-Solaranlage.

Dann noch die Bürokratie: es gibt für Stecker-Windkraftanlagen kein vereinfachtes Anmeldeverfahren wie für Solar-Balkonmodule. Der Netzbetreiber wird sich dein Projekt ggf. genauer anschauen.

Mein ehrlicher Ratschlag: Während Stecker-Solaranlagen eine erprobte und marktreife Option sind, ist die Mini-Windanlage am Balkon mit Anschluss an die Steckdose eine fragwürdige Lösung. 

Über den Autor

Patrick Jüttemann

Patrick Jüttemann ist neutraler Experte für Kleinwindkraftanlagen und Autor diverser Fachpublikationen. Er ist Gründer und Inhaber des 2011 gestarteten Kleinwindkraft-Portals und des dazugehörigen YouTube-Kanals "Kleinwindkraft".
Er ist international anerkannter Experte zu gewerblichen und privaten Kleinwindanlagen für die lokale Energieversorgung. Dazu gehört die Integration von Photovoltaik und Stromspeichern.
Seine Arbeit als Autor ist durch aktuelle Marktanalysen, wissenschaftlich fundierte Berichte und Verbraucherschutz gekennzeichnet. Als Experte wird er in diversen renommierten Zeitschriften wie beispielsweise der ZEIT, F.A.Z. und c’t (Heise Gruppe) zitiert.