Falsches Bild über Kleinwindräder in der Presse täuscht Verbraucher

10/03/2022

Die Berichterstattung über Kleinwindanlagen ist oft kurios und kontraproduktiv: Es überwiegen Meldungen über neue Produkte, die in Bezug auf Technik und Design ungewöhnlich sind und deren nachhaltiger Markterfolg gleichzeitig zweifelhaft ist. Die Leser bekommen dadurch ein falsches Bild von Kleinwindkraft.

 

Windbaum als jüngstes Beispiel: Teil des Kuriositätenkabinetts oder Windgenerator?

Die zurzeit angesagte Kleinwind-Kuriosität ist der sogenannte Windbaum, für den international die mediale Welle durch die Lande schwappt.  In Deutschland wurde der Windbaum als „Kraftwerk in Pflanzenform“ unter anderem auf WiWo Green angepriesen, dieser Artikel wurde (leider) auch vom Handelsblatt übernommen.

Wenn man im Artikel genannte Angaben einem Faktencheck unterzieht, erkennt man fragwürdige bis unsinnige Inhalte.

Faktencheck 1:
Anlauf-Windgeschwindigkeit von 2 m/s. Der Windbaum läuft noch, wenn große Windkraftanlagen still stehen.
Ergebnis:
Bei niedrigen Windgeschwindigkeiten ist die Windleistung sehr niedrig, so dass kein oder extrem wenig Strom produziert wird. Zu suggerieren, dass diese Mini-Windräder gegenüber Großwindkraftanlagen im Vorteil sind, ist irreführend.

Faktencheck 2:
In der Stadt gibt es viel Wind. Der Windbaum ist elf Meter hoch d.h. die Mini-Rotoren befinden sich ca. acht bis elf Meter über dem Boden.
Ergebnis:
In der Stadt und dicht besiedelten Gebieten gibt es nicht viel Wind, es überwiegen ungünstige Windverhältnisse. Die zahlreichen Gebäudekörper führen zu turbulenten d.h. für Windturbinen schlechte Windbedingungen.  In einer geringen Aufstellungshöhe von acht bis elf Meter sind in der Stadt und in Wohngebieten die Bedingungen besonders schlecht.

Faktencheck 3:
Bei einer Leistung von 3,1 kW erzeugt die Anlage pro Jahr 3.200 Kilowattstunden bei einer mittleren Jahreswindgeschwindigkeit von 5 m/s.
Ergebnis:
Der Windbaum ist mit vertikalen Savoniusrotoren bestückt. Diese Widerstandläufer haben ungefähr ein Drittel des Wirkungsgrads von marktgängigen horizontalen Kleinwindkraftanlagen. Zertifizierte Horizontalläufer mit einer Leistung von 3,5 kW erzeugen bei 5 m/s pro Jahr 4.000 und 5.000 Kilowattstunden Strom. Die Jahreserträge des Windbaums sind vor diesem Hintergrund nicht realistisch.

Fakten und Stand der Technik treten in den Hintergrund

Der Ursprung von Artikeln in Fachzeitschriften oder deren Online-Portalen sind in der Regel Pressemeldungen der Hersteller oder Vertriebspartner. Bei der Selektion der Pressemeldungen wird leider zu oft nach folgendem Motto verfahren: Je schräger und auffälliger das Kleinwind-Modell, je weiter entfernt vom Stand der Technik, desto besser. Dann lässt sich eine schrille Schlagzeile formulieren, die die Aufmerksamkeit der Leser gewinnt. Das Ganze wird dann gerne als effizienteste Windkraftanlage der Welt oder als Revolution vom Dach tituliert. Fakten treten in den Hintergrund und werden offensichtlich nicht geprüft. Vollkommen unrealistische Amortisationszeiten, nicht mögliche Wirkungsgrade und für Kleinwindanlagen nicht geeignete Installationsorte? Kein Problem für manche Redaktionen.

Irreführende Bewusstseinsbildung über Kleinwindkraftanlagen

Auffallend ist, dass über Hersteller mit dem Stand der Technik entsprechenden Windgeneratoren vergleichsweise selten berichtet wird. Es gibt durchaus interessante Neuigkeiten, wie z.B. neue Modelle etablierter Hersteller, innovative Startups oder interessante Auslandsprojekte.

Der Leser wird einigermaßen immun gegenüber den Vertriebsfloskeln in den Verkaufsprospekten eines Anbieters sein. Fatal ist dagegen, wenn die Fachpresse ohne sachliche Prüfung fragwürdige Meldungen übernimmt. Zum einen weil die Fachmedien Glaubwürdigkeit genießen und zum anderen, weil sie als Multiplikator eine Nachricht streuen.

Daraus resultiert das Problem, dass die Leser eine falsche Vorstellung über Kleinwindanlagen und die dezentrale Nutzung von Windenergie bekommen. Das geräuschlose Mini-Windrad direkt über dem Dach mitten im Wohngebiet mit einer Jahresproduktion von 700 Kilowattstunden? Bitter wird es, wenn Hausbesitzer auf Grundlage solcher Meldungen eine Fehlinvestition tätigen.

Ein realistisches Bild: Merkmale erfolgreicher Kleinwindräder

Es gibt diverse gute Hersteller mit erprobten Anlagen auf dem Markt, als auch gute Standorte für Kleinwindkraftanlagen. Stichpunktartig fassen die folgenden Fakten wichtige Merkmale erfolgreicher Kleinwind-Anwendungen zusammen.

  • Stand der Technik: Horizontale Windkraftanlagen
  • Vertikale Windräder bislang ohne nachhaltigen Markterfolg
  • Lagen in der Stadt oder in der Mitte von Wohngebieten oft nicht geeignet
  • Standorteignung mit einer Windmessung in Erfahrung bringen
  • Montage auf einem bodenständigen Mast ist Standard
  • Dachinstallationen können problematisch sein aufgrund Windturbulenzen und Körperschallübertragung
  • Ein Kleinwindrad ist ein Kraftwerk. Kernfragen für Anlagenvergleich:
    1. Wie hoch sind die Gesamtkosten?
    2. Wie hoch ist die Jahresstromproduktion an meinem Standort?
    3. Hohe technische Verfügbarkeit über 15-20 Jahre?

Über den Autor

Patrick Jüttemann

Patrick Jüttemann ist neutraler Experte für Kleinwindkraftanlagen und Autor diverser Fachpublikationen. Er ist Gründer und Inhaber des 2011 gestarteten Kleinwindkraft-Portals und des dazugehörigen YouTube-Kanals "Kleinwindkraft".
Er ist international anerkannter Experte zu gewerblichen und privaten Kleinwindanlagen für die lokale Energieversorgung. Dazu gehört die Integration von Photovoltaik und Stromspeichern.
Seine Arbeit als Autor ist durch aktuelle Marktanalysen, wissenschaftlich fundierte Berichte und Verbraucherschutz gekennzeichnet. Als Experte wird er in diversen renommierten Zeitschriften wie beispielsweise der ZEIT, F.A.Z. und c’t (Heise Gruppe) zitiert.